Sunday, February 13, 2011

Personenschaden

Ich hatte schon vor Ewigkeiten angekündigt, wie sehr ich es liebe, mich über Euphemismen auszulassen, und heute ist endlich ein passender Anlass dafür. Und weil's so schön ist, beginne ich gleich mit einem von meiner persönlichen Top-10-Liste der schönsten Euphemismen.

Das Wort des Tages lautet: "Personenschaden".

"Personenschaden" ist ein Wort, das unwillkürlich an "Wildschaden" erinnert, und auch genau so verwendet wird: Nämlich dann, wenn eine Person vor einen fahrenden Zug gelaufen ist. Meist vorsätzlich.

"Der Zug hat Verspätung wegen Personenschaden" heißt daher meist so viel wie: "Der Zug hat Verspätung, weil jemand vor den Zug gesprungen ist und wir gerade dabei sind, seine Überreste mit dem Hochdruckreiniger aus dem Fahrwerk zu sprühen."

Nahe verwandt übrigens: "Sie ist vor den Zug gegangen." Was eine ungleich harmlosere Beschreibung ist als "Sie hat beschlossen, ihrem Leben ein Ende zu setzen, und dabei noch einen unschuldigen Zugfahrer zu traumatisieren, indem sie ihm bei voller Fahrt vor den Zug gesprungen ist."

Zu den nennenswerten Zahlen und Fakten: Allein in Deutschland finden im Durchschnitt jede Woche 15 Schienensuizide statt, mit einer leichten Häufung im April und September sowie an Montagen und Dienstagen. Im Laufe seiner Dienstzeit erlebt ein durchschnittlicher deutscher Lokführer 2 bis 3 Suizide. Etwa jeder elfte Zugführer macht ein Mal im Leben eine schwere posttraumatische Belastungsstörung durch, ein Drittel davon bleibt dauerhaft arbeitsunfähig. Die Deutsche Bahn unterhält ein eigenes Sanatorium für Lokführer, die durch Schienensuizide traumatisiert wurden.

Den Euphemismus gibt es übrigens aus demselben Grund, aus dem man auch trotz der erschreckend hohen Anzahl solcher Fälle so selten davon hört: Weil aus Angst vor Nachahmungen bewusst nicht darüber berichtet wird -- siehe Werther-Effekt.

Nicht, dass die Euphemismen-Tretmühle nicht ohnehin schon längst zugeschlagen hätte. Der neue Begriff lautet daher jetzt "Notarzteinsatz am Gleis". Und bedeutet immer noch "Zusammenkratzen von Leichenteilen".

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