Tuesday, December 28, 2010

Barbaren
Oder: Fahrstil

Ich war ja immer der Meinung, Fahrstil sei etwas, das nur die Steirer besitzen, und das mit zunehmender Entfernung von Graz quadratisch abnimmt. Woran erkennt man auf der Autobahn, dass man sich Wien nähert? An der freien ersten Spur. Warum hat die Autobahn ab Baden vier Spuren? Damit man die erste freilassen und auf den restlichen drei halbwegs normal fahren kann.

Entsprechend natürlich auch mein anfängliches Entsetzen über die Schweizer Fahrkünste: Oh diese Barbaren! Rechts überholen! Herausschneiden vom Beschleunigungsstreifen! Trotz Nachrang in den Kreisverkehr einfahren! Fußgänger, die ohne zu schauen auf den Zebrastreifen springen!

Und dann habe ich vier Monate lang dort gewohnt und bin jeden Tag 40km zur Arbeit und gleich weit wieder zurück gefahren.

Und habe nach meiner Rückkehr nach Graz entsetzt festgestellt: Oh diese Barbaren! Drängeln und kriminell dicht auffahren, statt einfach rechts vorzufahren! Nervöses Herumzuckeln am Beschleunigungsstreifen! Rücksichtsloses Durchsetzen vom Vorrang im Kreisverkehr! Drängeln und Lichthupe geben, wenn jemand vorm Zebrastreifen langsamer fährt, um auf Fußgänger zu achten!

Und die Moral von der Geschicht: Fahrstil definiert sich wohl nur dadurch, woran die meisten Leute in einer bestimmten Gegend gewohnt sind. Es mag wie bei Dialekten mehr oder weniger ästhetische geben, aber solange alle ungefähr denselben Regeln folgen, funktioniert alles bestens.

(Und nein, die Straßenverkehrsordnung erklärt nicht alles. Zum Beispiel hat ein Auto am Beschleunigungsstreifen Nachrang gegenüber dem fließenden Verkehr, darf also nur dann auf die eigentliche Fahrbahn wechseln, wenn dabei kein dort fahrendes Auto behindert wird. Aber was man diesbezüglich unter "behindern" versteht, ist regional sehr verschieden. In der Steiermark zum Beispiel stehen Autos zur Not so lange am Beschleunigungsstreifen, bis auf der gesamten einsehbaren Strecke kein einziges Auto mehr in Sicht ist. In der Schweiz dagegen gilt es durchaus auch noch als "nicht behindern", wenn ein auf der Hauptstrecke daherkommendes Auto noch problemlos von 90km/h auf 40km/h abbremsen kann. Reine Ansichtssache.)

lG Birgit

1 comment:

  1. Die lokalen Geschmacksrichtungen an Fahrstilen erklären auch, warum es überall Legenden von ganz furchtbar inkompetenten Fahrern gibt, die - um das "wir vs. die"-Gefühl zu unterstützen - natürlich alle asu dem Landkreis X kommen (oder aus einer kleinen Menge ebensolcher).

    "Hüte dich vor Regen, Schnee, MOS und ERB."

    Logischerweise denken die Leute in MOS und ERB dasselbe von den Leuten die obige Weisheit pflegen.

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