Tuesday, December 29, 2009

Avatar -- Aufbruch nach Pandora

[Achtung Spoiler]

"Avatar -- Aufbruch nach Pandora" hätte sich redlich einen Platz in der Liste der deprimierendsten Happy Ends verdient. Warum? Erstens, auf beiden Seiten ist vermutlich gut die Hälfte der Bevölkerung draufgegangen, nebst weltlicher Dinge wie Heimat, Infrastruktur und Hab und Gut. Und viel schlimmer zweitens: Wenn dieses Mineral, das dort abgebaut wird, wirklich so wertvoll ist, dann kann man sich ausrechnen, wie lange es dauern wird, bis die Menschen zurückkommen -- mit größeren Atombomben. Auf der Seite der Na'vi dagegen sehe ich keine weiteren Ressourcen mehr, mit denen man sich noch einmal und effektiver verteidigen könnte.


Kommentare zum Film im Allgemeinen:

Die Geschichte ist im Wesentlichen schell zusammengefasst als 80% Dune, 10% Pocahontas und 5% "Der mit dem Wolf tanzt", erweitert um vielleicht 5% eigene Ideen. Im Großen und Ganzen hat man ein Dutzend Stereotypen genommen, ein wenig an die fremde Welt angepasst, und zusammen in einen Film geworfen. Die Charaktere sind, vielleicht mit Ausnahme des Protagonisten, um dessen persönliche Entwicklung es im Film ja geht, flach wie Fußmatten.

Nicht einmal ein anständiges Heldenepos mit erschütternden Selbstzweifeln, Trauer über den verlorenen Zwillingsbruder und Hin- und Hergerissenheit zwischen der Loyalität zu verfeindeten Seiten, gefolgt von mutigen Entschlüssen und heroischer Selbstaufopferung, ist gelungen. Die Trauer um den verstorbenen Zwilling wird abgehandelt als "Er sieht genauso aus wie mein Bruder." -- "Nein, er sieht aus wie du." -- "Hm.". Und über die Wandlung vom Verräter zum Volkshelden innerhalb von 10 Filmminuten brauchen wir auch nicht zu reden. Das war kein mutiger Entschluss, in der aussichtslosen Situation das Unmögliche zu wagen, das war "Übrigens, ich hatte da so eine seltsame Idee und bin mal eben von oben auf einen gefährlichen Raubvogel draufgesprungen.", gefolgt von einer peinlich absurden Rede, die selbst bei einem derart traumatisierten Volk nicht auf tosenden Applaus sondern auf schallendes Gelächter stoßen müsste.

Übrigens ließe sich der Film sehr einfach und effektiv in einen europäisch-sozialkritischen Film (mit ungewohnt vielen Special Effects) verwandeln, indem man ihn einfach direkt nach der Zerstörung des Heimatbaumes abschneidet, und das [deprimierende] Nachdenken dem Zuschauer überlässt. Über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten, aber mir persönlich gefallen Filme, die im Wesentlichen zwei Stunden lang Spannung aufbauen, um am Ende eine einzige Frage zu stellen -- und unbeantwortet zu lassen.


Von der etwas schwachen Geschichte abgesehen ist am Film und insbesondere den Special Effects nichts auszusetzen. Na gut, das ist untertrieben. Die Special Effects sind genial. Ebenso die Zukunftstechnologien, die auf der Bodenstation der Menschen zu sehen sind, von den futuristischen Bildschirm- und Eingabegeräten über die tragbaren Atemgeräte mit den großen Sichtfenstern bis hin zu den verschiedenen medizinischen und biologischen Apparaturen und den Hubschraubern und anderen Fluggeräten. Dazwischen immer wieder ganz unfuturistisch einfache Dinge, wie zum Beispiel gute alte Kaffeehäferl, Maschinengewehre und natürlich der Rollstuhl. Kurz und gut, eine der meiner Meinung nach realistischsten Zukunftsvisionen, die man in den letzten Jahren so gesehen hat.

Auch auf Seiten der Na'vi kommt der Realismus nicht zu kurz, der vor allem in den liebevoll und sorgfältig durchdachten Details beginnt. Beispielsweise haben die Na'vi, die an jeder Hand nur vier Finger haben, ein Zahlensystem zur Basis 8 (wie schlaue Menschen herausgefunden und hier in die Wikipedia geschrieben haben). Das gesamte Ökosystem des Planeten ist in sich stimmig, ebenso die gesellschaftliche Struktur und die Religion. Selbst der Flug mit vier Flügeln wirkt physisch sinnvoll, und der Kampf- und Jagdstil passt zum Körperbau. Einzig das scheinbar völlige Fehlen von Insekten ist ein wenig verwunderlich. Aber zugegeben, man kann es auch übertreiben.

Und natürlich ist verwunderlich -- aus biologischer Sicht, nicht aus cinematographischer --, dass die Na'vi so ungemein menschlich aussehen und sogar auf zwei Beinen gehen, in einer Welt, in der sonst alles auf sechs Beinen unterwegs sind. Wie groß ist schon die Wahrscheinlichkeit, dass die Evolution neben der Menschheit noch ein zweites Mal die ungemein dumme Idee hatte, irgendwelche Lebewesen auf zwei Beinen gehen zu lassen? Und selbst wenn, müssten die Na'vi dann nicht mindestens noch ein zweites Paar Arme haben, übriggeblieben vom Leben als Sechsbeiner? Selbst wenn man argumentieren wollte, dass Werkzeuggebrauch freie -- also nicht zur Fortbewegung verwendete -- Arme benötigt, selbst dann wäre ein Design mit vier Beinen und zwei Armen, ähnlich wie bei Zentauren, doch wesentlich sinnvoller. Aber wie gesagt, man kann es mit dem Realismus auch übertreiben.


Fazit: Die Geschichte ist ein bissl mau, aber die Computeranimationen und die davon erschaffene Welt muss man gesehen haben.

lG Birgit


P.S.: Bin ich wirklich die einzige, die sich fragt, warum Jake und Neytiri sich ganz profan abknutschen, anstatt wie sonst bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit mit ihren verlängerten Nervenfasergehirnverbindungsdingern "das Band" zu formen?

14 comments:

  1. Nein, alle, mit denen ich im Film war, meinten auch, dass sie natürlich ihre USB-Kabel bei Liebesbekundungen verwenden müssten.

    Fand die Story nicht ganz so schlecht, wie du sie machst...

    Ich hab mich nur noch gefragt, wie die Evolution auf Pandora verlaufen sein muss, dass *alle* diesen praktischen USB-Stecker haben...

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  2. Hab inzwischen nocheinmal nachgeschaut -- glücklicherweise ist eh schon alles auf YouTube ;) -- und sie verwenden ihre Antennendinger eh bei ihrer kleinen Liebesszene. Aber halt ganz unauffällig irgendwo unten am Rand, und nicht so schon theatralisch mitten im Bild, wie das zu erwarten gewesen wäre.

    Dann ist aber natürlich die nächste Frage: Warum weiß sie dann danach noch immer nichts über seine restlichen Absichten et cetera?


    Schon wahr, wenn ich einmal am Verreißen bin, dann übertreib ich gern einmal. Aber hat ja eh niemand behauptet, Dune und Pocahontas wären schlechte Geschichten. ;)

    Trotzdem hätte ich auf einigen Seiten auf ein bissl mehr Charakterentwicklung gehofft. Der militärische Kriegstreiber bleibt militärischer Kriegstreiber bis zum Ende. Der Abbau-Chef schaut ein paar Mal unglücklich drein, macht aber auch keine Anstalten, sich das Vorhaben noch einmal zu überlegen. Die Wissenschafter sind Wissenschafter. Nicht einmal, wie die anderen Omaticaya langsam anfangen, Jake als Mitglied des Clans zu tolerieren, bekommen wir zu sehen, abgesehen von der Versöhnung mit Tsu'Tey. Und sei ehrlich, selbst Neytiri macht nicht wirklich sowas wie Charakterentwicklung durch.

    Also ich sag ja nicht, dass die Geschichte abgrundtief schlecht ist. Aber von gut ist sie auch weit entfernt. Meiner Meinung nach.


    @Evolution: Na, Evolution eben. Wenn's wirklich ein derart großer Vorteil ist, sortiert die Natur die Spezies mit ohne sowas schon aus. Davon abgesehen haben's eh bei weitem nicht alle Tiere, wie man hier nachlesen kann.

    lG Birgit

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  3. Ah, das hab ich jetzt ganz vergessen: Viel, viel mehr Princess Mononoke als Dune. Dune wär mir als Vergleich überhaupt nicht eingefallen, weil zwar auch Ökologie vorkommt, aber komplett anders, zumindest meiner Meinung nach.

    Stimmt schon, Charakterentwicklung hat's nicht.

    Versteh auch überhaupt nicht, warum der RDA-Chef zwar meint, sie hätten ihnen Medizin, Ausbildung, Straßen angeboten – aber auf die Idee, das Unobtainium (selten peinlicher Name BTW) durch unterirdische Bohrungen und Auffüllen des entstehenden Loches ohne Störung der Na'vi abzubauen, kommt er nicht, obwohl ihn schlechte Presse doch stört, wie er selbst sagt. Das kann *wirklich* nicht so viel teurer sein, als es im Tagbau abzubauen...

    Zu Evolution: Ja, schon. Aber IRGENDWIE müssen symbiotische Verhältnisse ja einmal anfangen – und da seh ich einfach keine Vorstufen, die dem zugrunde gelegen haben können...

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  4. @Princess Mononoke: Hm, den Film kenn ich nicht. An Dune hat's mich weniger von der Ökologie her erinnert, sondern wegen der Geschichte "Mensch kommt von anderer Welt auf Planeten wo wertvoller Rohstoff abgebaut wird, wird von einheimischem Stamm aufgenommen, lernt deren Gebräuche, reitet auf größtem Wurm/Vogel, wird deren Auserwählter, und führt die Einheimischen in den entscheidenden Freiheitskampf gegen die Eindringlinge.". Bei Dune hatten sie allerdings wenigstens am Ende eine Lösung des Problems, nämlich die Möglichkeit der vollständigen Zerstörung des wertvollen Rohstoffs (der für die Einheimischen eh wertlos ist).

    @Unobtainium: Wollt ich auch erwähnen, hat aber nirgends in den Textfluss gepasst. Außerdem trau ich der Menschheit schon zu, dass sie irgendwann tatsächlich irgendwas so nennen. Denk an Bezeichnungen wie "Atom" oder "Super-GAU".

    @Tagbau: Na, kann schon sein, dass es unter Tag wesentlich lästiger ist. Oder zumindest langsamer. Und wozu auch, wenn man einfach mit ein paar Raketen draufschießen kann? Seien wir ehrlich -- letztendlich ist Aktionären schlechte Presse ja doch egal, solange der Gewinn stimmt.

    @Evolution: Die Evolution hat auf unserer Erde so völlig unwahrscheinliche Dinge ausgeheckt wie Tragbeutel, auf dem Schlucken von Steinen beruhende Verdauungssysteme, Wiederkäuer, Geckopfoten, Kniegelenke und Bienenwaben. Ich glaub, wir müssen uns daran gewöhnen, dass die Evolution manchmal ganz schön verrückt ist.

    Davon abgesehen möcht ich darauf hinweisen, dass du symbiotisch mit mehreren Millionen Bakterien von einem Dutzend verschiedenen Arten zusammenlebst, ganz zu schweigen von Milliarden Mitochondrien. ;)

    lG Birgit

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  5. @Tagbau: Ja, aber der RDA-Fuzzi wirkt ja so halb unwohl in einer Szene... Da hätte man doch die Möglichkeit von Grabungen zumindest irgendwie erwähnen müssen.

    @Evolution: Ja, aber bei all dem gibt's logische Zwischenstufen (zumindest kann ich mir ohne großen Aufwand welche vorstellen).

    Prinzipiell war der Film einfach trotz mäßiger Handlung genau das, warum ich SF liebe (Xenofauna, -flora, -soziologie, -linguistik, technischer Fortschritt).

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  6. @Evolution: Na innerhalb einer Rasse kann es schon sein, dass sowas passiert, zB ursprünglich als verlängerte Nabelschnur oder sowas, über die der Nachwuchs die ersten paar Lebenswochen lang von den Eltern lernt. Und wenn sich dann alle Arten auf dem Planeten daraus entwickelt haben...

    @SF: Dass der Teil vom Film genial war, hab ich ja nie bestritten, im Gegenteil. Wie gesagt (oder eigentlich nicht gesagt, nur geschrieben gehabt und wieder weggelöscht vorm Veröffentlichen): Die Welt stimmt, die erzählenswerte Geschichte fehlt noch.

    lG Birgit

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  7. Martin: "Hier übrigens noch der Grund, warum sie die Ureinwohner von Pandora weghaben wollten: 'Unter dem Baum ist das größte Unobtainium-Vorkommen (man beachte übrigens den Namen des Minerals) in einem Umkreis von 200 Kilometern'.
    Wie viele Hubschrauber-Minuten sind das nochmal? ... "

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  8. Fairerweise: Vorankommen am Boden wird anstrengend sein, und sie haben ihr Basiscamp halt jetzt irgendwo aufgebaut...

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  9. Zur Sexszene: Es geht die Nachricht um, dass es eine längere Sexszene gab, die sie aus Rating-Gründen gestrichen haben und nur auf DVD veröffentlichen; angeblich kommen dort die USB-Ports deutlich zum Einsatz.

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  10. Nicht, dass dem Film ein bissl kürzen nicht auch aus anderen Gründen ganz gut täte, aber: Und das versuchte Abschlachten eines ganzen Volkes is für die Ratings wurscht?!

    lG Birgit

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  11. In der Tat, ja. Fluchen oder ein bissl Sex ist PÖSE, aber Genozid, grobe Gewaltanwendung oder psychische Gewalt sind voll okay...

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  12. Apropos: Und diese demnach Quasi-Vergewaltigung von dem Flugvogeltier ist okay?

    lG Birgit

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  13. Mooooment. USB-Anschluss != Sex, er kommt halt nur auch beim Sex zum Einsatz.

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  14. Na, so wie des Viech dreingeschaut hat, war das auch so eine meiner ersten Assoziationen...

    lG Birgit

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